4.12.2022

Von Ochsenbein zu Rösti

Schweiz und Welt
Auch wenn Adolf Ogi und Albert Rösti zumindest in der Europa-Politik nicht ganz die gleichen Ansichten haben, verbindet sie als gebürtige Kandersteger sonst viel.

Am Mittwochmittag wissen wir, wer neue Bundesrätin und neuer Bundesrat sein wird. Was wir bereits mit grosser Wahrscheinlichkeit wissen: Es wird bei der SVP ein Mann und bei der SP eine Frau. Damit wird ein Wunsch des zurücktretenden (ja, hier ist das Partizip Präsens für einmal korrekt) Ueli Maurer in Erfüllung gehen.

Der neue SVP-Bundesrat wird der 120. in der Geschichte seit 1848 sein. Die neu gewählte SP-Bundesrätin die 121. sowie die zehnte Frau. Das ist eigentlich eine geringe Zahl für die 174 Jahre, welche seit der Gründung unseres Bundesstaates vergangen sind. Rufen wir uns in Erinnerung, dass etwa im Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland dieses Jahr schon die dritte Regierung im Amt ist.

Und in anderen Ländern wurden in der gleichen Zeit nicht nur mehrfach die Regierungen, sondern gleich das ganze Regierungssystem umgekrempelt. So gab es 1848 im regional zersplitterten Deutschland noch nicht mal einen Deutschen Kaiser. Der wurde erst 1871 ernannt und dann 1918 auch schon wieder abgesetzt. Dann kamen Weimarer Republik, Nazis, BRD, DDR und dann 1990 das heutige Deutschland. In der Schweiz war im gleichen Zeitraum die grösste Veränderung die Gründung des Kantons Jura im Jahr 1979.

Überhaupt ist unser Schweizer System bemerkenswert. So haben wir keinen eigentlichen Regierungschef, der die anderen Minister ernennen und entlassen kann. Wir haben zwar einen Bundespräsidenten. Der ist aber ein "Primus inter pares" - ein "Erster unter Gleichen".

Ulrich Ochsenbein wurde 1848 als erster Bundesrat überhaupt gewählt. In seiner Wahlfolge steht als letzter Ueli Maurer. Der neue SVP-Bundesrat ist also ebenfalls in direkter Linie zu Ochsenbein.

Ebenfalls speziell ist, dass seit 1848 nie gleichzeitig alle Bundesräte ausgetauscht wurden. Und da jeder und jede Bundesrätin und Bundesrat einzeln und nacheinander nach Majorzsystem gewählt wird, gibt es eigentliche Stammbäume oder Traditionslinien von Bundesräten. Auch das gibt es so in keinem Lande. Im Grunde genommen geht die Kontinuität sogar weiter zurück. Denn Ulrich Ochsenbein, der 1848 als erster in den Bundesrat gewählt wurde, war 1847 als Berner Regierungspräsident bereits auch Tagsatzungspräsident.

Wohl auch deshalb wurde Ochsenbein 1848 als Erster der sieben Ersten überhaupt in den Bundesrat gewählt. Und weil Ochsenbein ein Berner war, war diese Linie in der Vergangenheit mit wenigen Ausnahmen stets von Bernern besetzt. Die Ausnahmen waren Leon Schlumpf (1980-1989) und jetzt eben Ueli Maurer (2009-2022). Und somit wird der neugewählte SVP-Bundesrat so oder so in einer Linie mit allen bisherigen Berner Bundesräten stehen. Diese Ahnenreihe ist beeindruckend: Ulrich Ochsenbein, Jakob Stämpfli, Karl Schenk, Eduard Müller, Karl Scheurer, Rudolf Minger, Eduard von Steiger, Markus Feldmann, Friedrich Traugott Wahlen, Rudolf Gnägi, Leon Schlumpf, Adolf Ogi, Samuel Schmid und jetzt eben Ueli Maurer. Ein jeder von ihnen wurde direkt als Nachfolger seines Vorgängers gewählt.

Seit der Wahl von Rudolf Minger im Jahr 1929 wurden alle diese Männer als Vertreter der BGB und später der SVP gewählt. Leon Schlumpf trat als Vater der BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf nach seinem Rücktritt zur BDP über. Samuel Schmid tat das, während er im Amt war.

Die Nachfolgerin von Bundesrätin Simonetta Sommaruga wird seit 1960 von Sozialdemokraten eingenommen. Damals wurde Hans-Peter Tschudi gewählt. Auf ihn folgte der legendäre Willi Ritschard, Otto Stich, Moritz Leuenberger und dann eben die aktuelle Amtsinhaberin Sommaruga. Wenn wir an den Beginn dieser "Ahnenreihe" gehen, finden wir den freisinnigen Waadtländer Henri Druey, der wie Ochsenbein 1848 gewählt wurde. Ach ja: Auch Ochsenbein gehörte der Freisinnigen Grossfamilie an, wie alle der ersten sieben Bundesräte.

Und wer wird nun gewählt am Mittwoch? Die welsche Zeitung "Le Matin dimanche" hat es schön geschrieben: "Eva Herzog a un pied au Conseil fédéral, Albert Rösti neuf orteils". Zu gut deutsch: "Eva Herzog hat einen Fuss im Bundesrat, Albert Rösti neun Zehen". Diese Einschätzung bringt sehr schön auf den Punkt, was die meisten Polit-Auguren in Bern ebenfalls vermuten: Wenn nicht noch etwas völlig Unwahrscheinliches passiert, wird Albert Rösti am Mittwoch gewählt. Und Eva Herzog ist Favoritin, hat aber ihre Mitbewerberin Elisabeth Baume-Schneider noch nicht geschlagen. Hier dürften die letzten Hearings am Montag und Dienstag noch eine Rolle spielen. Ich persönlich bin noch nicht überzeugt, dass hier die Favoritin Herzog durchmarschiert.

Mich persönlich würde es natürlich extrem freuen, wenn Albert Rösti gewählt  würde. Nicht nur, weil ich ihn enorm schätze und ihm auch voll zutraue, das Amt hervorragend auszuführen. Und auch nicht, weil ich Rösti lieber habe als Herzöge und Vögte. Sondern auch, weil er damit in einer Traditionslinie mit unserem Unterlangenegger Bundesrat Ulrich Ochsenbein stehen würde, der 1811 im "Alten Bären" neben der Kirche Schwarzenegg geboren wurde.

Autor: Samuel Krähenbühl