2.11.2020

Offener Brief gegen einseitige Abstimmungspropaganda der Kirchen

Gesellschaft
Die Landeskirchen mischen sich immer mehr ins politische Tagesgeschäft ein. Das ist aber nicht ihr Kernauftrag!

Die Reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn (Refbejuso) mischt sich immer stärker aktiv ins politische Alltagsgeschäft ein. So namentlich auch bei den Volksabstimmungen vom 29. November. Wir 50 Berner Grossrätinnen und Grossräte aus den drei bürgerlichen Parteien BDP, FDP und SVP wenden uns deshalb in einem offenen Brief an den Synodalrat der Refbejuso.

Kirchen haben Fahnen für Abstimmungskampagne gehisst!

Wir 50 Grossrätinnen und Grossräte aus allen Landesteilen und Sprachregionen kritisieren namentlich die massive und sehr einseitige Einmischung der Reformierten Landeskirche im Vorfeld der Volksabstimmungen vom 29. November auf allen Stufen. Denn zwanzig Kirchgemeinden und Pfarreien im Raum Bern haben an den Kirchen oder Kirchgemeindehäusern grosse Fahnen für ein Ja zur sogenannten «Konzernverantwortungsinitiative» gehisst.

Auch die Refbejuso als Gesamtes unterstützt diese Aktionen aktiv. So ist auf der Website der refbejuso ein «Musterantrag fürs Aufhängen des Banners Kirche für die Konzernverantwortungsinitiative an der Kirche» aufgeschaltet. Und in einer Medienmitteilung am 1. Oktober hat die Refbejuso als Gesamtes ihre offizielle Ja-Parole zu diesem Geschäft herausgegeben.

Die Landeskirche unterscheidet so zwischen guten und schlechten Christen.

Die Landeskirche unterscheidet so zwischen guten und schlechten Christen. Das ist unevangelisch. Denn eigentlich ist die Refbejuso noch immer eine Volkskirche, bei der mehr als die Hälfte der Einwohner des Kantons Bern Mitglied sind. Denn man kann auch ein aufrichtiger Christ sein und trotzdem gegen die Konzernverantwortungsinitative stimmen.

Die unterzeichnenden 50 Grossrätinnen und Grossräte sind überzeugt, dass die Initiative trotz guten Absichten im Falle einer Annahme kaum Wirkung, dafür aber viel Kollateralschäden anrichten würde und mit Blick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländern gar kontraproduktiv sein wird.

Auch stellt sich die Frage, wie demokratisch die einseitige politische Stellungnahme samt Parolenfassung der Refbejuso für die Sachabstimmung vom 29. November zu Stande gekommen ist? Denn eine Basisbefragung oder gar eine Urabstimmung zu dieser Abstimmungsparole der Kirche ist den 50 unterzeichnenden Grossrätinnen und Grossräten nicht bekannt. Gerade in den ländlichen Gebieten des Kantons Bern, wo sowohl der Anteil der Kirchgänger wie der Kirchenmitglieder substanziell höher ist als in den städtischen Gebieten, stimmen und wählen der überwiegende Teil der Kirchenmitglieder bürgerlich. Es ist kaum davon auszugehen, dass diese mehrheitlich eine solche Parole unterstützen würden.

Man sollte selber demokratisch sein, wenn man das schon von anderen einfordert!

Wenn man dann von unseren Unternehmen schon demokratische und rechtsstaatliche Gepflogenheiten im Handel mit dem Ausland einfordert, dann sollte man schon auch dafür sorgen, dass bei wichtigen politischen Weichenstellungen im eigenen Haus diese auch eingehalten werden.

Dass es auch anders geht, zeigt die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich. In einem Merkblatt verbietet sie «die Abstimmungspropaganda durch Kirchenbehörden mit undifferenzierten Werbemitteln wie Plakate, Inserate, Spots, Pins und dergleichen.» Ebenfalls verboten ist unter anderem die «Finanzielle Unterstützung privater Abstimmungspropaganda aus öffentlichen Geldern».

Konfrontation der Kirche mit der Wirtschaft!

Die 50 unterzeichnenden Grossrätinnen und Grossräte bedauern zudem die zunehmende Konfrontation der Kirche mit der Wirtschaft, welche mit ihren Steuern nicht unwesentlich die soziale Tätigkeit der Kirchen ermöglicht und weisen Sie daraufhin, dass diese Rechtslage nicht in Stein gemeisselt ist.

Hier der offene Brief im Wortlaut:

Offener Brief an die Reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn

Sehr geehrte Frau Pörksen Roder, sehr geehrte Damen und Herren

Am 21. März 2018 haben wir im Bernischen Grossen Rat die Revision des Landeskirchengesetzes gutgeheissen. Die Landeskirchen im Kanton Bern haben somit weiterhin sehr gute Rahmenbedingungen für die Zukunft, namentlich auch, was die Finanzierung betrifft. So haben wir bürgerlichen Grossräte in der überwiegenden Mehrheit die Anträge abgelehnt, welche die Landeskirchen schlechter gestellt hätten. So etwa den Rückweisungsantrag der Grünliberalen Partei. Auch die wiederkehrenden Motionen, welche etwa eine Abschaffung der Kirchensteuern für juristische Personen (Unternehmen) fordern, haben wir bisher immer deutlich abgelehnt. Auch die Stärkung der organisatorischen Unabhängigkeit vom Staat haben wir in diesem Gesetz bejaht. Zusammengefasst kann man sagen: Wir standen in allen Teilen glasklar zu den Landeskirchen.

Der damalige Kirchendirektor Christoph Neuhaus rief uns in der Eintretensdebatte dazu auf, die beiden Worte zu beherzigen, die der Heilige Benedikt von Nursia mit Verantwortung verband: «discretio» und «aequitas». «Discretio» bedeutet, das rechte Mass zwischen «zu viel» und «zu wenig» zu finden. Und «aequitas» meint, den verschiedenen Aspekten einer Sache im Ganzen gerecht zu werden. Wir haben diesen Rat befolgt und sind mit der Revision des Landeskirchengesetzes den Weg der «aequitas» gegangen.

Dieser weise Weg der «aequitas» würde eigentlich auch den Verantwortungsträgern der Reformierten Landeskirchen gut anstehen. Leider müssen wir bürgerlichen Politiker feststellen, dass namentlich die Reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn (refbejuso) diesen Weg des richtigen Masses zunehmend verlässt. Die Refbejuso mischt sich immer mehr in das politische Alltagsgeschäft ein. Und nimmt hier ebenso eindeutig Partei. Partei für die Ansichten der rot-grünen Parteien. Das stellen wir namentlich auch im Vorfeld der Volksabstimmungen vom 29. November fest. Sowohl der Synodalrat wie auch zahlreiche lokale Kirchgemeinden weibeln wie die Marktschreier im Tempel (Johannes 2, 13-16) für die sogenannte «Konzernverantwortungsinitiative». Ja, sie weibeln nicht nur, die missbrauchen das «Haus des Herrn» als riesige Plakatsäulen für ein irdisches politisches Thema.

Wir wollen uns an dieser Stelle nicht auf eine inhaltliche Debatte über die «Konzernverantwortungsinitiative» einlassen. Nur so viel: Die Stossrichtung der darin formulierten Ziele sind sicher ehrbar. Aber wir sind ebenso der Überzeugung, dass die Initiative im Falle einer Annahme kaum Wirkung, dafür aber viel Kollateralschäden anrichten würde und mit Blick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländern gar kontraproduktiv sein wird.

Wohlgemerkt: Kirchen dürfen auch aus unserer Sicht politisch sein. Aber nicht parteiisch. Und vor allem ist Politik nicht ihr Kerngeschäft. Die Momente, in denen es nicht nur zulässig, sondern sogar notwendig ist, dass sich die Kirche auch politisch äussert, sind rar. Die "Barmer Theologische Erklärung" von 1934 unter Federführung von Karl Barth etwa war ein solcher Moment, in dem es richtig war, dass die Kirche sich zur politischen Situation äussert. Wenn sich die Kirche aber gefühlt zu jeder zweiten Sachabstimmung politisch und dazu noch einseitig äussert, dann verliert ihre Stimme als «Salz der Erde» (Matthäus 5,13–16) ihre Kraft.

Zudem stellt sich für uns auch noch die Frage, wie demokratisch die einseitige politische Stellungnahme für die Sachabstimmung vom 29. November zu Stande gekommen ist? Uns ist nicht bekannt, dass es eine Basisbefragung oder gar eine Urabstimmung zu dieser Abstimmungsparole der Kirche gegeben hätte. Gerade in den ländlichen Gebieten des Kantons Bern, wo sowohl der Anteil der Kirchgänger wie der Kirchenmitglieder substanziell höher ist als in den städtischen Gebieten, stimmen und wählen der überwiegende Teil der Kirchenmitglieder bürgerlich. Wenn man dann von unseren Unternehmen schon demokratische und rechtsstaatliche Gepflogenheiten im Handel mit dem Ausland einfordert, dann sollte man schon auch dafür sorgen, dass bei wichtigen politischen Weichenstellungen im eigenen Haus diese auch eingehalten werden.

Wir bedauern die zunehmende Konfrontation der Kirche mit der Wirtschaft, welche mit ihren Steuern nicht unwesentlich die soziale Tätigkeit der Kirchen ermöglicht und weisen Sie daraufhin, dass diese Rechtslage nicht in Stein gemeisselt ist.

Wir hoffen auf Ihr Verständnis und noch mehr auf Ihre Einsicht und verbleiben mit freundlichen Grüssen

Grossrat Samuel Krähenbühl, Unterlangenegg
Grossrat Patrick Freudiger, Langenthal
Grossrat Christoph Zimmerli, Bern
Grossrat Francesco Rappa, Burgdorf
Grossrat Ueli Ablanalp, Brienzwiler
Député Roland Benoît, Corgémont
Grossrat Hans Jörg Rüegsegger, Riggisberg
Grossrat Hans-Peter Kohler, Köniz
Grossrat Carlo Schlatter, Thun
Grossrat Beat Bösiger, Niederbipp
Grossrat Peter Gerber, Schüpfen
Grossrat Andreas Michel, Schattenhalb
Grossrat Carlos Reinhard, Thun
Grossrätin Barbara Josi, Wimmis
Grossrat Alexander Feuz, Bern
Grossrat Fritz Ruchti, Seewil
Grossrat Peter Dütschler, Hilterfingen
Grossrat Andreas Hegg, Lyss
Grossrätin Marianne Teuscher, Roggwil
Grossrat Kurt Wenger, Meikirch
Grossrat Peter Moser, Biel
Grossrat Kurt Zimmermann, Frutigen
Grossrat Fritz Wyss, Wengi
Grossrätin Sandra Hess, Nidau
Grossrat Ernst Wandfluh, Kandergrund
Grossrätin Annegret Hebeisen, Münchenbuchsee
Grossrat Martin Schlup, Schüpfen
Grossrätin Christine Gerber, Detligen
Grossrätin Andrea Gschwend-Pieren, Kaltacker
Grossrätin Anne Speiser, Zweisimmen
Grossrat Adrian Haas, Bern
Député Etienne Klopfenstein, Corgément
Grossrätin Verena Aebischer, Guggisberg
Grossrat Thomas Knutti, Därstetten
Grossrat Werner Moser, Landiswil
Député Jean-Luc Niederhauser, Court
Grossrat Hans Schär, Schönried
Députée Virginie Heyer, Perrefitte
Député Pierre-Yves Grivel, Bienne
Grossrätin Sabina Geissbühler, Herrenschwanden
Députée Anne-Caroline Graber, La Neuveville
Grossrat Daniel Bichsel, Zollikofen
Grossrat Andreas Schüpbach, Huttwil
Grossrat Peter Salzmann, Mülchi
Grossrat Mathias Müller, Orvin
Grossrat Ueli Augstburger, Gerzensee
Grossrat Alfons Bichsel, Merligen bei Sigriswil
Grossrat Alfred Bärtschi, Lützelflüh
Grossrat Ueli Gfeller, Schangnau

Autor: Samuel Krähenbühl