19.6.2022

Massentierhaltung: Unnütze Initiative für ein unschweizerisches Problem

Stadt und Land
So schön haben es die Alpkühe. Hier bei der oberen Hütte des "Grossen Mittelbergs" im Justistal.

Tiere haben es verdient, dass wir sie möglichst gut behandeln. Aber zum allergrössten Teil tun die Schweizer Landwirte dies auch. Ein Beispiel gefällig? Jährlich werden rund 436’000 Kühe, Rinder und Kälber sowie über 120'000 Schafe, Ziegen und Schweine auf Alpbetrieben gesömmert. Da unsere Familie das Glück hat, ein Bergrecht im Grossen Mittelberg im Justistal zu besitzen, sömmern auch wir dort jeden Sommer eine Kuh. Und wenn man sieht, wie schön es dort ist und wie gut es die Kühe dort haben, dann denk ich mir ab und zu: Ein viel schöneres Leben als eine solche Alpkuh im Justistal kann man überhaupt gar nicht haben.

Doch nicht alle Menschen in der Schweiz haben einen praktischen Bezug zur real existierenden Landwirtschaft. Nur so kann ich mir erklären, wie die Massentierhaltungsinitiative zu Stande gekommen sein kann. Denn sie zeugt von wenig Verständnis für die effektiven Verhältnisse. Da nützt auch ein Unterstützungskomitee mit Namen vorwiegend aus Influencer-Kreisen sowie der Schaubranche wie etwa Komiker Viktor Giaccobo oder Ex-Miss Schweiz Melanie Winiger wenig.

«Die Initiative gegen Massentierhaltung fordert eine Selbstverständlichkeit: Die in der Verfassung verankerte Würde des Tieres soll endlich auch in der landwirtschaftlichen Tierhaltung respektiert werden.» Dieses Zitat steht auf der Website der Initianten der Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)», über die wir am am 25. September 2022 abstimmen.

Dicker Tobak für die Schweizer Landwirtschaft. Wenn die «Würde des Tieres endlich respektiert werden soll», dann bedeutet dies ja wohl im Umkehrschluss nichts anderes, als dass sie das heute explizit nicht wird.

Eine gewisse Widersprüchlichkeit ist jedoch beim Weiterlesen durchaus vorhanden: «Die Initiative gegen Massentierhaltung fordert das Ende der industriellen Tierproduktion in der Schweiz. Sie weist den Weg hin zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Wie die meisten Schweizer Landwirtschaftsbetriebe tagtäglich beweisen, ist eine ressourcenschonende und tierfreundliche Produktion möglich. Ein Grossteil der Tiere fristet ihr kurzes Leben jedoch in grossen, fabrikähnlichen Mastbetrieben. Hier setzt die Initiative an.»

Was jetzt? Wenn die meisten Schweizer Landwirtschaftsbetriebe ressourcenschonend und tierfreundlich produzieren, warum fristet dann «ein Grossteil der Tiere ihr kurzes Leben in grossen, fabrikähnlichen Mastbetrieben».

Die Aussagen auf der Website der Initianten sind teilweise widersprüchlich.

Doch der Widersprüche sind noch mehr. Nach Absatz 2 der Übergangsbestimmungen muss die Ausführungsgesetzgebung «bezüglich Würde des Tiers Anforderungen festlegen, die mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen». Diese Richtlinien enthalten u.a. Anforderungen an die Tierhaltung, die Fütterung, den Auslauf sowie spezifische Höchstbestände für Geflügel.

Das Problem dabei: Bio ist nicht in erster Linie ein Tierwohllabel. Je nach Tierart sind keine oder nur ganz geringe Unterschiede zu den gesetzlichen Minimalanforderungen vorhanden. In der Rindviehhaltung etwa gibt es bezüglich Anforderungen an die Ställe kaum Unterschiede. Einzig das RAUS-Programm ist bei Bio Pflicht. Auch sind die Höchstbestandesgrenzen gegenüber den gesetzlichen Vorschriften kaum strenger.

Bei den Tierarten werden lediglich beim Geflügel über die gesetzliche Regelung hinausgehende Begrenzungen pro Stalleinheit festgelegt, so etwa bei den Legehennen auf rund 2000 Tiere und bei den Aufzuchthennen auf rund 4000 Tiere. Im Wesentlichen unterscheidet sich aber die Bio-Geflügelproduktion kaum von der konventionellen. So werden auch bei den Bio-Betrieben spezielle Hybriden eingesetzt. Von «Pro-Specie-Rara»-Romantik mit alten Zweinutzungshühnern ist nur bei ganz wenigen Nischenproduzenten, welche zudem fast immer direkt vermarkten, die Rede.

Das Tierwohlprogramm für «Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme» (BTS-Programm), welches auch viele Nicht-Biobetriebe einhalten, geht dagegen - abgesehen von der Kaninchenhaltung - über die Mindestanforderungen der Bio Suisse-Richtlinien 2018 hinaus.

Zumindest ein Punkt dürfte den einen oder anderen Bauern, die eine oder andere Bäuerin in Versuchung bringen, der Initiative zuzustimmen: Die Initiative fordert, dass importierte Tierprodukte den neuen Schweizer Standards entsprechen. Doch die Kontrolle der eingeführten Erzeugnisse wäre schwierig und teuer, insbesondere bei zusammengesetzten Lebensmitteln. In Anbetracht der Tatsache, dass der Selbstversorgungsgrad ohnehin nur noch gut 50 Prozent beträgt, würde die Beschaffung enorm schwierig. Vermutlich würden dann doch wieder viele Lebensmittel importiert, welche unter weit tieferen Standards als den unseren produziert wurden.

Langer Rede, kurzer Sinn: Ich lehne aus Überzeugung die unnötige «Massentierhaltungsinitiative» ab. Und zwar aus folgenden Gründen:

- Den meisten Schweizer Nutztieren geht es schon heute gut. Besser auf jeden Fall als in den meisten anderen Ländern der Welt

- Die Tierschutzgesetzgebung verbietet «Massentierhaltung» im Sinne der Initiative schon heute. Denn schon heute kennt die Schweiz im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern Begrenzungen der Höchstbestände pro Landwirtschaftsbetrieb.

- Zudem hat die Schweiz aufgrund der Struktur der Landwirtschaftsbetriebe und aufgrund der Gesetzgebung im internationalen Vergleich bereits aktuell sehr kleine Tierbestände. Man schlägt den Sack und meint den Esel.

- Die Tierschutzgesetzgebung schützt das Wohlergehen der einzelnen Tiere unabhängig von der Anzahl Tiere. Eine Beschränkung der Grösse der Tierhaltungen bringt somit keine unmittelbare Verbesserung des Tierwohls. Sie hätte aber massgebliche wirtschaftliche Einbussen bei den Landwirtinnen und Landwirten zur Folge.

- Die gesetzliche Festlegung der Bio-Vorschriften auf dem Stand von 2018, wie sie die Initiative fordert, brächte gar keinen wirklichen Mehrwert. Das Tierwohlprogramm BTS, welches viele ÖLN-Betriebe schon heute einhalten, bringt mehr Vorteile.

Autor: Samuel Krähenbühl