27.7.2022

Ich bin Fan der kulturellen Aneignung

Gesellschaft
Benny Goodman hat sich als Weisser die schwarze Jazzmusik angeeignet. Und er hat als einer der ersten Musiker überhaupt auch zusammen mit Schwarzen gespielt und somit zum Abbau der Rassentrennung in den USA beigetragen.

Darf ein hellhäutiger Mitteleuropäer Reggae-Musik spielen? Und darf er dazu afrikanische Kleidung und eine Dreadlock-Perücke tragen? Nein, er darf nicht! So zumindest die Meinung der Betreiber eines links-alternativen Lokals in Bern. Sie brachen ein Konzert einer Reggae-Band in ihrem Lokal ab. Begründung: Die Band eigne sich die Kultur anderer Menschen an. Einige Besucher des Konzert hätten sich daran gestört. Medien aus dem In- und Ausland berichten darüber.

Das Phänomen, ständig neue Sprach- und andere Tabus zu erfinden, ist ja für die linke Szene nichts Neues. Dies, obschon es sich in vielen Fällen ebenfalls um nichts anderes als "kulturelle Aneignung" handelt. Denn auch diese Idee wurde wie so vieles in Nordamerika erfunden. Die Idee dahinter: Wer Elemente einer anderen Kultur übernimmt, der "stiehlt" quasi den Menschen, welche diese Kultur vertreten, etwas.

Erschreckend dabei ist vor allem, wie viele Menschen bei solchem Blödsinn mitmachen. Erklärbar ist das fast nur mit ideologischer Verblendung und vor allem mit einem zunehmenden Zerfall der Bildung. So gesehen kann ich das Konzept der "Kulturellen Aneignung" nur als eine Idee von dummen oder zumindest ungebildeten Menschen bezeichnen. Denn im Gegenteil zu dem, was deren Vertreter behaupten, ist die Aneignung von Elementen anderer Kulturen und das Verbinden mit der eigenen Kultur nicht nur unglaublich wichtig für die Weiterentwicklung unserer Kulturen überhaupt. Diese Aneignung hilft in Tat und Wahrheit eben gerade auch, Ungleichheit und Rassismus zu überwinden.

Das berühmteste Beispiel ist der Jazz. Er ist kurz nach 1900 bei den Afroamerikanern in den Südstaaten der USA entstanden und verband im Wesentlichen afrikanische Rhythmen mit europäischer Tonalität und Instrumentierung. Anders, wenn auch sehr vereinfacht, ausgedrückt: Von den Schwarzen kam der Beat und von den Weissen die Melodie.

Bald einmal fanden auch weisse Musiker Gefallen an der neuen Musikrichtung Jazz. Sie imitierten sie und entwickelten sie weiter. Dies, obschon in den USA zu der Zeit vielerorts noch Rassentrennung herrschte und die neue, "schwarze" Musik vielerorts auf Kritik stiess. Dann begannen erste Bandleader, Bands aus weissen und schwarzen Musikern zusammen zu setzen. Einer der ersten überhaupt war Benny Goodman (1909-1986), der vielleicht auch aufgrund seiner jüdischen Abstammung besonders sensibilisiert war.

Die ehemals "schwarze" Musik des Jazz wurde in den dreissiger und vierziger Jahren immer populärer, so dass die amerikanische Luftwaffe den Swing-Bandleader Glenn Miller verpflichtete, um aus rekrutierten Musikern eine Big Band zur Truppenunterhaltung im 2. Weltkrieg aufzubauen. Viel mehr kulturelle Aneignung im noch immer teils offen rassistischen Amerika der damaligen Zeit hätte es kaum geben können. Und nicht selten dürften damalige Jazz-Konzerte sehr wohl auch aufdringlich-kitschig die afroamerikanische Kultur imitiert haben. Doch gerade der Jazz trug dazu bei, die Schranken zwischen Afroamerikanern und Weissen aufzuweichen.

Der Jazz ist nur ein Beispiel für einen Prozess, der laufend stattfindet. Zu allen Zeiten haben wir Menschen uns kulturelle Errungenschaften anderer Völker angeeignet. Und sehr oft waren es Eroberer, welche von den Eroberten profitierten. Die Griechen haben nach den Feldzügen Alexanders des Grossen von der Persischen und Ägyptischen Kultur profitiert. Die Römer wiederum nach der Eroberung Griechenlands von der Griechischen. Unsere germanischen Vorfahren ihrerseits haben ganz viele Elemente der antiken römisch-griechisch-nahöstlichen Kultur übernommen. Ja, unsere Religion, das Christentum, haben wir indirekt durch kulturelle Vermittlung durch Römer und Griechen von den Juden mitbekommen.

Das berühmte Dreiklanghorn unserer Postautos ist letztendlich das Resultat einer gegenseitigen kulturellen Übernahme.

Ich nenne noch ein Beispiel aus der Musik um zu zeigen, was ich damit meine: 1797 bereiste der Dichter Johann Wolfgang von Goethe die Schweiz. Er kam dabei mit dem sagenhaften Stoff des Schweizer Helden Wilhelm Tell in Berührung. Goethe berichtete in einem Briefwechsel seinem Dichterkollegen Friedrich Schiller darüber. Schiller, der selber nie in der Schweiz war, nahm den Stoff auf und schrieb sein berühmtes Drama "Wilhelm Tell". 1804 wurde das Theaterstück zum ersten Mal im deutschen Weimar aufgeführt.

Damit aber noch nicht genug.  Einige Jahre später kam der italienische Opernkomponist Gioachino Rossini (1792-1868) mit dem Schiller-Drama in Kontakt. In ein Opern-Libretto hatte es der Franzose Victor-Joseph Étienne de Jouy gebracht. Und die Uraufführung der nun französisch gewordenen Oper fand am 3. August 1829 in Paris statt. Und die Tenorpartie des Wilhelm Tells mit seinen vielen hohen C's gilt als eine der Schwierigsten in der ganzen Opernliteratur.

Nur, damit es richtig verstanden wird: Die Oper "Guillaume Tell" wurde von einem Italiener auf französisch nach einer Vorlage eines Deutschen über den Schweizer Nationalmythos geschrieben. Und der Urner Bergbauer Wilhelm Tell hat darin eine der schwierigsten Tenorpartien mit vielen hohen C's. Viel mehr kulturelle Aneignung geht nicht.

Und trotzdem ist nicht nur Schillers Theaterstück, sondern auch Rossinis Oper "Wilhelm Tell" heute praktisch allen Schweizern bekannt, obschon es viele nicht einmal wissen. Namentlich die Ouvertüre ist es, aus der verschiedene Elemente zur Populärkultur gehören. Nur ein Beispiel: Viele denken an Schulreisen oder Ferienausflüge auf kurvenreichen Strassen und haben den Dreiklang «Dü-Da-Doo» in den Ohren, wenn sie das Wort «Postauto» hören. Nur wenige wissen: Die heute verwendete Tonfolge «cis-e-a» ist der Ouverture zu Gioachino Rossinis «Wilhelm Tell» angelehnt. Aber auch viele andere Melodien, welche in der Werbung und anderswo verwendet werden, stammen aus dieser Oper. Wer mal reinhören will, der kann das unter diesem Link tun: Ouvertüre Guillaume Tell

Fazit: Wir müssen den Unsinn des Verbotes von sogenannt "kultureller Aneignung" im Keim ersticken. Danach haben wir noch genug Arbeit, um etwa den bereits grassierenden LGBT+-Unfug wieder in die Schranken zu weisen!

Autor: Samuel Krähenbühl