5.6.2022

Gute Waffen, schlechte Waffen

Gesellschaft
Die Next Generation Light Anti-Tank Weapon (NLAW) ist eine Panzerabwehrlenkwaffe schwedischer Entwicklung. Die Schweiz verzichtet nun zu Gunsten der Ukraine auf bereits bestellte solche Waffen. (Quelle: Wikimedia)

Eines muss klar gesagt werden: Um andere Menschen zu töten braucht es keine Waffen. Von einem der bekanntesten und frühesten Tötungsdelikte überhaupt lesen wir in der Bibel. Und zwar in 1. Mose 4. Dort wird der Brudermord des Ackerbauers Kain am Viehzüchter Abel beschrieben. In Vers 8 lesen wir: "Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot."

Von einer Mordwaffe lesen wir nichts. Eventuell war ein Stein oder etwas ähnliches im Spiel, weil von "erschlagen" die Rede ist. Aber eine extra fürs Töten angefertigte Waffe wie etwa ein Dolch oder ähnlich war nicht im Spiel. Mit schierer Muskelgewalt tötete Kain seinen Bruder. Auch der berühmte Kriegsphilosoph Carl von Clausewitz braucht in seinem Buch "Vom Kriege" als Idealtyp für einen Konflikt den Kampf von Mann zu Mann auf Leben und Tod.

Nun kann aber nicht in Abrede gestellt werden, dass speziell hergestellte Waffen das Töten erleichtern. Deshalb werden sie ja auch in Kriegen eingesetzt. Wer die effizienteren Waffen hat, der hat grössere Chancen, einen Kampf zu gewinnen. Waffen können aber auch dazu dienen, Konflikte zu vermeiden. Das Vorhandensein von Waffen kann einen Kriegsgegner davon abhalten, überhaupt erst einen Angriff zu wagen. Waffen oder Waffensysteme sind in so einem Fall genau dann besonders effizient, wenn sie gerade nicht eingesetzt werden, sondern die andere Seite nur abschrecken.

Die Bismarck war in zwei Seeschlachten verwickelt. Sie bewirkte aber viel weniger als ihr Schwesterschiff Tirpitz, das nie einen grossen Kampf ausgefochten hat.

Ein Beispiel dazu aus dem 2. Weltkrieg. Die deutsche Kriegsmarine baute zwei moderne Schlachtschiffe, welche allen Schlachtschiffen der anderen Marinen mindestens ebenbürtig waren. Die eine hiess "Bismarck" und wurde bereits in ihrer zweiten Schlacht am 27. Mai 1941 von der britischen "Royal Navy" versenkt. Ihr Schwesterschiff, die "Tirpitz" hingegen war gar nie in einen Kampf mit anderen Schiffen verwickelt. Sie wurde erst gegen Kriegsende am 12. November 1944 von britischen Flugzeugen versenkt.

Die "Bismarck" ist das viel berühmtere Schiff. Über sie gibt es zahllose Bücher und Dokumentarfilme. Die "Tirpitz" hingegen ist viel weniger bekannt. Dabei hatte sie - ohne je einen Schuss auf ein anderes Schiff gefeuert zu haben - einen viel grösseren Einfluss auf den Krieg als ihre berühmte Schwester. Denn die "Tirpitz", welche die meiste Zeit kampfbereit in einem Fjord im besetzten Norwegen lag, war eine ständige Bedrohung für die alliierten Begleitzüge. Briten und Amerikaner mussten jahrelang starke Kräfte im Atlantik behalten, um einen möglichen Angriff der "Tirpitz" abwehren zu können. Auf englisch nennt man dies eine "Fleet in being", auf deutsch nennt man so was eine "Präsenzflotte".

Kommen wir zur Gegenwart. In den vergangenen Wochen haben uns Waffen stark beschäftigt. Zum einen wurde die Welt durch das Schulmassaker in Uvalde, Texas erschüttert. Ein achtzehnjähriger Schüler erschoss dort 19 Schulkollegen sowie zwei Lehrkräfte. Dieses tragische Ereignis führte wie stets nach ähnlichen Ereignissen dazu, dass der Ruf nach einer stärkeren Kontrolle von Waffen laut wurde. Gerade in Europa wurde die Politik der Amerikaner was Waffen betrifft stark kritisiert, Einschränkungen und Verkaufsverbote gefordert.

Sicher: Der Umgang mit Schusswaffen muss verantwortungsvoll sein. Aber der überwiegende Teil der Waffenbesitzer verhalten sich verantwortungsvoll. In der Schweiz haben noch heute viele Armeeangehörige, Sportschützen und Jäger ihre Schusswaffen zu Hause. In unzähligen Haushaltungen sind automatische Waffen wie das Sturmgewehr 90 vorhanden. Zumindest in der Schweiz ist also kein Bedarf für noch strengere Regulierungen vorhanden. Und in die Innenpolitik eines anderen Landes mische ich mich nicht ein. Tatsache ist zumindest, dass Kriminelle immer irgendwie an Schusswaffen kommen.

Gleichzeitig tobt in Osteuropa seit Februar ein schrecklicher Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Nachdem die Europäischen Regierung sich jahrelang geziert hatten, der Ukraine moderne Waffen zu liefern, überbieten sich jetzt die westlichen Länder geradezu mit Munitions- und Waffenlieferungen. Selbst die Schweiz ist von ihrem neutralen Kurs abgewichen und ermöglicht zumindest indirekt zusätzliche Waffenlieferungen an die Ukraine, indem sie auf bereits bestellte Waffen verzichtet, bzw. deren Beschaffung zu Gunsten der Ukraine verzögert. Zumindest indirekt liefert nun also die Schweiz auch Waffen für den Krieg.

Selbstverständlich kann man moralisch gesehen damit argumentieren, dass diese Waffen die Armee der Ukraine stärken und somit tendenziell deren Erfolgsaussichten verbessern. Sicher ist aber auch, dass mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit diese Waffen, welche wegen der Aufweichung des Neutralitätskurses der Schweiz an die Ukraine gehen, Menschen verletzen oder gar töten. Und ziemlich sicher werden sie auch den bewaffneten Konflikt eher verlängern als verkürzen.

Dabei hätte die Schweiz traditionell eigentlich eine ganz andere Rolle: Statt Waffen an eine der Kriegsparteien zu liefern hätte sie sich als neutrales Land diplomatisch einschalten sollen, um Frieden zu vermitteln. Diese friedensstiftende Rolle kann der Bundesrat nach seiner teilweisen Aufgabe der Neutralität nun wohl nicht mehr spielen.

Und noch etwas anderes finde ich spannend: Während der Mainstream der Schweizer Politik und Medien von den US-Amerikanern eine restriktive Waffenpolitik bei ihren Bürgern einfordert, befeuern die gleichen Kreise die Aufrüstung im russisch-ukrainischen Konflikt. Für mich geht das nicht auf.

Autor: Samuel Krähenbühl