15.8.2021

Die sechs V-s der Beeinflussung

Gesellschaft
Die römische Stadt Pompeii wurde 79 nach Christus durch einen Vulkanausbruch verschüttet. Hätten Experten vor der Gefahr gewarnt, wären in diesem Fall Menschenleben gerettet worden. Doch Experten warnen in vielen Fällen auch unnötig vor Gefahren.

Wir leben in speziellen Zeiten. Zeiten, in denen es nicht immer einfach ist, den Überblick zu behalten. Wir werden zwar auf unzähligen Kanälen, Tag und Nacht informiert. Aber wie objektiv ist die so inflationär bereitgestellte Information? Und wie versuchen allenfalls Firmen, Regierungen, Wissenschaftler, internationalen Organisationen oder Medien, uns zu beeinflussen, gar zu manipulieren?

Um Informationen einordnen zu können, muss man vor allem verstehen, mit welchen Mechanismen die oben genannten Meinungsführer und Akteure uns zu beeinflussen versuchen. Wichtig ist: Das ist keine Anklage. Und auch nur bedingt eine Kritik. Denn nicht immer geschehen die Beeinflussungen bewusst und bösartig. Auch wir selber nutzen unbewusst im Alltag bei der Kommunikation mit anderen Menschen manchmal ähnliche Mechanismen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Und daraus zu lernen.

Verunsichern

Wir wissen nie genau, was die Zukunft bringt. Manchmal bringt sie Gutes, manchmal auch Schlechtes. Sicher ist: Wir Menschen haben Veränderungen nicht unbedingt gerne. Bedrohungen noch weniger. Wirtschaftskrisen und Krankheiten, früher auch Kriege heissen Bedrohungen, vor denen wir Menschen wir uns fürchten. Wenn wir uns fürchten, werden wir vorsichtig. Und wir sind eher bereit, unsere Freiheit einschränken zu lassen.

Wohlgemerkt: Es ist im Grunde ein gesunder Reflex, sich mit Vorsicht vor realen Bedrohungen zu schützen. Schon jedes Kind lernt irgendwann mal, dass man etwa mit Feuer besser nicht spielt. Weil es eben eine reale Bedrohung ist. Unser Furchtreflex ist aber dann problematisch, wenn er aufgrund von falschen, weil er von übertriebenen oder gar nicht existierenden Bedrohungen getrieben wird. Weil wir geben dann unnötig Freiheit auf und Geld aus, um zu reagieren.

Und wie wird verunsichert? Indem man immer wieder über Bedrohungen redet, diese regelrecht heraufbeschwört. Indem man wichtige Einzelpersonen, Vereinigungen oder sonstige Gruppierungen zitiert, welche ebenfalls vor dieser Bedrohung warnen. Besonders beliebt sind heutzutage Wissenschaftler, welche vor Bedrohungen warnen.

Das Problem dabei: Wissenschaftler wissen tatsächlich viel. Aber sie haben tendenziell auch ein Interesse, Bedrohungen eher zu gross darzustellen. Denn damit sichern sie sich zum einen ab. Denn kaum je wird ein Wissenschaftler im Nachhinein kritisiert, wenn er ein Mal zu viel gewarnt hat. Wenn er hingegen vor einem Schadensereignis nicht gewarnt hat, dann kommt er an die Kasse. Zum anderen gewinnen Wissenschaftler an Gewicht, wenn ihr Forschungsgegenstand für die Menschheit von Bedeutung ist. Und das ist er eher, wenn ihr Fach für die Menschen relevant ist.

Ein Erdbebenforscher etwa profitiert überspitzt gesagt davon, wenn es Erdbeben gibt. Oder auch schon nur, wenn man sich vor Erdbeben fürchtet. Denn dann braucht man sein Expertenwissen. Und er kann entweder Forschungsgelder generieren oder bekommt einen guten Job in der Privatwirtschaft bekommen. Etwa bei Versicherungen. Nun wäre es falsch, deshalb überhaupt nicht mehr auf Erdbebenforscher zu hören. Denn sie verstehen zweifellos etwas von ihrer Sache. Aber wir müssen uns immer bewusst sein, dass sie tendenziell eher übertreiben. Das gleiche gilt für alle Wissenschafter.

Im Sechstagekrieg kapitulieren ägyptische Soldaten massenhaft vor den Israelis. Trotzdem schwadroniert die ägyptische Regierung bis zur Niederlage von angeblichen Siegen.

Verwirren

Ein gutes Hilfsmittel, um die Menschen zusätzlich zu verunsichern, heisst Verwirrung. Denn wenn man eine Bedrohung aufklärt, kann man sie besser einordnen. Und wenn man sie einordnen kann, fürchtet man sich auch weniger. Bei falschen oder übertriebenen Befürchtungen braucht man sich eventuell gar nicht mehr zu fürchten und keine Gegenmassnahmen mehr zu ergreifen.

Wenn man aber statt Klarheit Verwirrung in eine Bedrohungslage hineinstreut, dann wachsen die Befürchtungen und Ängste. Und die richtige Einordnung und Bekämpfung der Bedrohung wird schwieriger. Das wiederum eröffnet neue Möglichkeiten für diejenigen, welche mit ihrer Propaganda andere manipulieren wollen. Verwirrung schürt Angst und hält einen von der Problemlösung oder eventuell sogar von der Abkehr von der Gefährdungslage ab.

Verwirren kann man Menschen, indem man sie im Unklaren lässt. Sie unzusammenhängend informiert. Ihnen keine Einordnung des Gesamtbildes der Lage bietet. Auch sich eigentlich diametral widersprechende Effekte der gleichen Bedrohung ins Feld führt. Verwirrung wird in der Propaganda übrigens vor allem auch gerne von Regierungen oder sonst verantwortlichen Gremien eingesetzt, um den eigenen Misserfolg zu vertuschen. Denn mit Verwirrung kann man vom eigenen Versagen ablenken, weil die Menschen nicht im Bilde sind.

Namentlich Regierungen im Krieg verwirren im Falle von Erfolgslosigkeit ihre Bürger häufig. Ein berühmtes Beispiel ist dasjenige von Gamal Abdel Nasser, dem Diktator Aegyptens, im Sechstagekrieg im Jahre 1967. Die ägyptischen Radio- und Fernsehstationen berichteten noch immer von grossen Siegen, als die israelischen Truppen schon fast vor den Toren Kairos standen. Und der irakische Diktator Sadam Hussein liess in den Achtziger Jahren im 1. Golfkrieg grosse Kühlhäuser bauen, in denen er die gefallenen Soldaten "zwischenlagerte", damit die Bevölkerung seine Niederlagen weniger zur Kenntnis nahm.

Verzerren

Auch das Verzerren gehört zu den Manipulationsmethoden, mit denen man die Ängste weiter steigern kann. Verzerren bedeutet nicht, dass grundsätzlich Unwahrheiten weitergegeben werden. Aber es werden grundsätzlich wahre oder wahrscheinliche Fakten, Ereignisse oder Zusammenhänge ins Groteske vergrössert. Oder andere Fakten ebenso sehr verkleinert, bis dass sie kaum mehr wahrnehmbar sind.

Eines der beliebtesten Mittel der Verzerrung in der Propaganda ist, die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens einer Gefährdung viel grösser - oder je nachdem auch viel kleiner - darzustellen, als es wirklich ist. Wie man das macht? Ganz einfach: In dem man grundsätzlich sogar wahre oder wahrscheinliche Ereignisse, welche bei den Menschen Furcht erzeugen, möglichst häufig und regelmässig in den Vordergrund rückt. Und dabei eher davon absieht, eine statistische Einordnung oder gar Gegenbeispiele, welche den umgekehrten Effekt hätten, überhaupt zu thematisieren.

Ein Beispiel: Im Jahr 2020 ereigneten sich in der Schweiz etwa 17'000 Verkehrsunfälle mit Personenschaden. Dabei verloren mehr als 250 Menschen ihr Leben. Das tönt schlimm. Jeder Einzelne der 17'000 Verkehrsunfälle bringt Ärger, Kosten, Sach- oder gar Personenschäden. Und jeder der 250 verstorbenen Menschen ist einer zu viel.

Im Vergleich mit der Gesamtmobilität ist das Ganze aber ziemlich zu relativieren. Der sogenannte Mobilitätsgrad, d.h. der Anteil der Bevölkerung, der an einem bestimmten Tag im Verkehr unterwegs ist, liegt seit Jahren praktisch unverändert bei rund 89%. Das sind also rund 7,5 Millionen Menschen. Ein extrem hoher Anteil der Menschen bewegt sich also im Verkehr. Die 250 im Strassenverkehr Verstorbenen machen also gerade mal 0.0033 Prozent aller Verkehrsteilnehmer aus.

Wenn man nun aber nur die 250 Toten in den Fokus rückt, aber den gesamten Mobilitätsgrad verschweigt, dann ist das eine Form der Verzerrung. Denn die 250 Verkehrstoten sind nicht unwahr. Und natürlich auch tragisch. Aber sie müssen vor dem Hintergrund der enorm hohen Mobilität gesehen werden. Und somit ist es eher ein geringer Anteil. Trotzdem werden die Mittel der Verzerrung gerade auch in der Verkehrspolitik dazu missbraucht, immer strengere Verkehrsregulierungen zu fordern. Das Programm Via Sicura etwa hatte das Ziel von 0 Verkehrstoten. Das ist zwar in der Realität gar nie erreichbar. Aber es lässt sich vortrefflich damit Stimmung für tiefere Tempolimiten und andere Einschränkungen machen.

Auch Medien haben ein Interesse, Einzelschicksale hoch zu stilisieren. Denn mit ihnen kann man Gefühle wecken und damit sich auch verkaufen.

Vereinfachen

Eine Spezialform der Verzerrung ist die Vereinfachung. Damit ist gemeint, dass ein reales Geschehen, eventuell sogar ein reales Schadensereignis, auf immer eine Ursache zurückgeführt wird. Und zwar nämlich auf diejenige Ursache, welche für das Erreichen der eigenen politischen Agenda den gewünschten Effekt hat. Viele Vorgänge in unserer Wirtschaft, Gesellschaft und auch in der Umwelt sind multifaktoriell. Das bedeutet, dass ganz viele Faktoren einen Einfluss auf die Entstehung dieser Vorgänge haben. Oder deren Verlauf beeinflussen können.

Bei der Vereinfachung werden alle wahrscheinlichen oder gar sicheren Mitursachen weggelassen, welche beim Manipulator nicht erwünscht sind. Und dafür wird auf dem immer einen Thema herumgeritten, bei dem man eine gewünschte politische Wirkung erzielen möchte.

Ein besonders prominentes Beispiel ist der sogenannte Klimawandel. Nachdem in den Anfängen dieses Phänomens stets von Klimaerwärmung geredet wurde, wurde der Begriff in "Klimawandel" abgeändert. Das war propagandistisch ein ganz geschickter Schachzug. Denn das Klima hat sich immer gewandelt. Und wenn man von Wandel statt Erwärmung redet, dann kann man auch zeitweilige Schlechtwetter- oder Kälteereignisse dem Phänomen zuschreiben. Idealtypisch war das diesen Sommer mit seinen kühlen Temperaturen und starken Niederschlägen zu beobachten. Genau gleich wie im heissen Sommer 2019 wurde auch dafür der Klimawandel verantwortlich gemacht. Man muss deshalb neidlos anerkennen, dass den Schöpfern des Begriffs "Klimawandel" ein genialer Schachzug gelungen ist.

Der Rütlischwur ist ein berühmtes Beispiel einer aus Sicht der Herrschenden illegalen Zusammenkunft, welche dann am Ende sogar in einen Aufstand mündete.

Vereinzeln

Und schliesslich ist es für einen möglichst optimalen Effekt aus Sicht des Manipulators am Ende auch wichtig, wenn die Menschen sich nicht zu sehr untereinander austauschen können. Denn wenn Menschen einander treffen, miteinander reden, miteinander Erfahrungen austauschen, dann relativieren sich meistens die vorabgenannten Effekte der Verunsicherung, der Verwirrung, der Verzerrung und der Vereinfachung.

Denn das Schwarmwissen der Menschen führt dazu, dass Propaganda eher durchschaut wird. Denn wenn die persönlichen Erfahrungen von vielen zusammenkommen, werden etwa statistische Übertreibungen durch Verzerrungen tendenziell besser durchschaut.

Dazu kommt noch ein anderer Effekt: Menschen sind soziale Wesen. Wenn sie sich in Gruppen treffen, dann schafft das Sicherheit. Ein Gemeinschaftsgefühl. Zusammengefasst kann man sagen, dass es Manipulatoren und Propagandisten nicht so gerne haben, wenn sich Menschen häufig und intensiv mit anderen Menschen treffen. Denn die Manipulation wird dann eher durchschaut. Deshalb kontrollieren und verbieten totalitäre Regierungen Zusammenkünfte und Vereinigungen, wenn sie nicht von ihnen organisiert und sommit gesteuert werden können. Sie sind für sie gefährlich.

Die Schweiz ist übrigens gemäss ihrer Entstehungslegende aufgrund einer verbotenen Zusammenkunft im Geheimen entstanden. Der Rütlischwur war ein Beispiel dafür, wie Menschen sich gegenseitig zu einer Bekämpfung einer Bedrohung - in diesem Falle den Habsburgern - an einem Treffen gegenseitig bestärken konnten.

Verführen

Erfolgreiche Propaganda ist meistens nicht grob. Und auch nicht einfach nur unangenehm. Sicher: Sie lebt von der Verunsicherung, von der Verwirrung, von der Verzerrung, von der Vereinfachung und vor der Vereinzelung. Aber sie tut das nicht einfach nur auf unangenehme Art. Nein, sie versucht auch, die Menschen zu verführen. Denn wenn man beispielsweise Menschen verängstigt, verwirrt, sie mit vereinfachten Botschaften manipuliert und sie vereinzelt, dann kann man ihnen auch wieder ein Sicherheits- und Gemeinschaftsgefühl geben, wenn man ihnen ein alternatives Angebot macht, das Sicherheit bietet.

Die Verführung basiert dann oft gerade darauf, dass eben Einschränkungen angeordnet werden, damit effektive oder vermeintliche Gefahren bekämpft werden können. Die Einschränkungen können Sicherheit und Vertrauen vermitteln. Ein an und für sich nicht negatives Beispiel dafür ist eine starke Polizeipräsenz im öffentlichen Raum. Wenn wir Polizisten in Uniform sehen, dann wird unser Vertrauen gestärkt, dass schon nichts passiert.

Ob diese Polizisten eine Bedrohung effektiv abwenden könnten und ob sie nicht sogar auch Repräsentanten eines Regimes sein können, das Menschen unterdrückt, das wird nicht hinterfragt. In totalitären Staaten verhaften die gleichen Polizisten politische Gegner, während sie für Anhänger des Regimes für Sicherheit und Ordnung stehen.

Fazit

Wenn wir die sechs V-s der Beeinflussung und die dahinter stehenden Mechanismen durchschauen, dann fällt es uns etwas einfacher, die uns zur Verfügung gestellten Informationen besser einzuordnen. Denn es wäre falsch zu behaupten, dass etwa unsere Medien ständig die Unwahrheiten berichten. Aber man muss sich bewusst sein, dass sie uns eben sehr wohl mit den genannten V-s zu beeinflussen versuchen. Und wenn wir die Mechanismen begreifen, können wir quasi die unsichtbare Wand der Beeinflussung ein Stück weit durchbrechen und einen besseren Durchblick erhalten.

Autor: Samuel Krähenbühl